Montag, 11. Mai 2009

"Wir haben die Schüchternheit abgelegt"

11.05.09 - Interview mit Skipper Boris Herrmann an Bord der "Beluga Racer".

Mit einem Vorsprung von mehr als 50 Seemeilen führen Boris Herrmann und Felix Oehme (Kiel/Hamburg) die vierte und vorletzte Etappe des Portimão Global Ocean Race an. Nach gut der Hälfte der 4.700 Seemeilen langen Teilstrecke von Ilhabela/Brasilien nach Charleston/USA, das um den 20. Mai herum erreicht werden dürfte, hält die Crew der Bremer "Beluga Racer" ihre chilenischen Verfolger Felipe Cubillos und Jose Muñoz auf der "Desafio Cabo de Hornos" weiter auf Distanz. Das norddeutsche Duo liegt auch in der Gesamtwertung der Hochseesegelregatta rund um die Welt klar vorne und will Ende Juni im portugiesischen Zielhafen Portimão den größten Triumpf seiner Karriere feiern. Unterwegs spricht Skipper Boris Herrmann im Interview über das Restrisiko, die Regatta noch zu verlieren, den Übermut der Verfolger und die Zeit nach der Weltumseglung.

Inzwischen konstant mehr als zehn Knoten Bootsgeschwindigkeit und 25 Grad Celsius. Könnte Segeln schöner sein?
Herrmann: Ja, wir segeln gerade die Kür dieses Rennens. Die 'Pflicht', das 'Schwere', Gefährliche haben wir hinter uns, ordentlich Punkte im Sack, und jetzt ist es warm und schnell. Regattasegeln kann wohl kaum besser sein.

Und Bremen im UEFA-Cup-Finale
Herrmann: Als Werder-Fans sind wir natürlich froh, dass die Erfolgswelle von der Karibik bis an die Weser reicht.

Sehnst Du Dich trotzdem manchmal nach dem Südpolarmeer zurück?
Herrmann: Sicher will ich da nochmal hin. Der Southern Ocean ist ein ultimatives Segelrevier, aber eine ernste Angelegenheit. Hier und heute fühlt es sich dagegen an wie Kindergeburtstag. Dennoch werden die meisten Weltrennen im Atlantik final entschieden. Angst haben wir nun keine mehr: Würde uns hier etwas passieren, könnten wir einfach die Füße im Meer baumeln lassen und würden an einen Strand in Brasilien oder der Karibik gespült. Im Moment pressen wir daher alles aus dem Schiff heraus. Dabei erfrischt einen die kühle Gischt, die übers Deck kommt. Im Southern Ocean segelten wir voller Respekt und etwas gebremst.

Seid ihr nervös, wenn ihr die Chilenen in den Positionsreporten aufholen seht?
Herrmann: Nein, sie sind momentan so etwas von unverschämt selbstsicher, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie nicht mehr scharf genug denken. Selbst wenn die 'Roten' sich jetzt vorbeischöben, wäre das noch nicht aller Tage Abend. Für die letzten 500 bis 1000 Seemeilen rechnen wir wieder mit mehr taktischen Optionen.

Zuviel Risiko habt ihr rechnerisch ja für einen Gesamtsieg gar nicht mehr nötig. Wie haltet ihr die Balance zwischen Ehrgeiz, auch diesmal vorne zu sein, und nicht alles aufs Spiel zu setzen?
Herrmann: Wir kennen das Boot mittlerweile recht gut. Die Bedingungen sind absehbar nicht so radikal. Dass ein Spinnaker platzt, könnten wir uns erlauben. Schwere Schäden sind unwahrscheinlich. Wenn überhaupt könnten diese außerhalb unserer Kontrolle in einer versteckten Materialmüdigkeit liegen. Da wir vor jedem Re-Start immer alles sehr sorgsam prüfen, machen wir uns keine ernsthaften Sorgen. Alarmiert sein und sensibel zu lauschen und zu gucken, ist ab 20 Knoten Wind (Stärke fünf, d. Red.) normale Routine.

Habt Ihr vor dem Wertungstor dieser Etappe alles auf eine Karte gesetzt, als ihr bei 30 Knoten Wind unter Vollzeug gesegelt seid, um die Vorentscheidung zu erzwingen?
Herrmann: Wir waren extra motiviert, haben die Schüchternheit aus dem Southern Ocean endgültig abgelegt und zum normalen Segelstil zurückgefunden. Bei radikalen Raumwindbedingungen, wo von Hand gesteuert werden muss, sind wir stärker als die Chilenen.

Wie groß ist das Restrisiko auf der Transatlantiketappe, zum Beispiel eines Mast- oder Ruderbruchs, der zur Aufgabe zwingt?
Herrmann: Wir haben ein Ersatzruder an Bord. Der Mast darf hingegen nicht brechen. Das halte ich aber auch für sehr unwahrscheinlich. Die Masten der Class40-Yachten sind laut Reglement sehr widerstandsfähig und steif, dazu aus Kohlefaser.

Sind Deine Pläne für die Zeit nach der Weltumseglung gereift?
Herrmann: Dank der großartigen Partnerschaft mit der Bremer Beluga Shipping GmbH habe ich schon jetzt einen vollen Terminkalender bis Frühjahr 2010 und will bereits im Herbst wieder an einer Regatta über den Atlantik teilnehmen. Gleichzeitig wird eine der neuen Herausforderungen sein, die Pläne für nach 2010 voranzutreiben. Mittelfristig bleibt eine zweite Weltregatta mit der Vendee Globe einhand an der Spitze mein Ziel. Aktuelles Umsetzen und Vorausplanen überschneiden sich fortlaufend, was manchmal sehr anstrengend sein kann.

Keine Angst, nach dem letzten Zieleinlauf in ein tiefes Loch zu fallen?
Herrmann: Das schon. Mir macht es Angst, dieses Schiff abzugeben. Die Beluga Racer ist mir sehr ans Herz gewachsen. Ich habe fast das ganze Jahr damit und darauf verbracht. Ich muss auch zu einem normalen Leben an Land erst wieder zurückfinden. Ich kenne mich schon insofern als dass ich weiß, dass mir nach einer großen Herausforderung für die erste Zeit etwas schmerzlich fehlen wird. Zum Glück kann ich dann bald wieder ein neues Projekt starten.

Wann können Euch Eure zahlreichen Fans in Deutschland das erste Mal wieder live erleben?
Herrmann: Sofern alles gutgeht, kreuzen wir spätestens Ende der zweiten Juliwoche mit der Beluga Racer in Deutschland auf. Und vielleicht gibt es vorher sogar noch einen kurzen Überraschungsbesuch. Interview Freitag 8. Mai.

Zwischenstand der vierten Etappe am Montag (11. Mai) um 08.20 Uhr MESZ:
1. Beluga Racer, Boris Herrmann/Felix Oehme (Kiel/Hamburg) noch 1.359,8 sm
2. Desafio Cabo de Hornos, Felipe Cubillos/José Muñoz (Chile) 79,7 sm zurück
3. Mowgli, Jeremy Salvesen/David Thomson (Großbritannien) 562,3 sm zurück
Kazimir Partners, Lenjohn und Peter van der Wel (Südafrika) nicht gestartet

Gesamtstand nach dem Wertungstor der 4. Etappe des Portimão Global Ocean Race:
1. Beluga Racer, Boris Herrmann/Felix Oehme (Kiel/Hamburg) 36 Punkte
2. Desafio Cabo de Hornos, Felipe Cubillos/José Muñoz (Chile) 31
3. Mowgli, Jeremy Salvesen/David Thomson (Großbritannien) 23
4. Kazimir Partners, Lenjohn und Peter van der Wel (Südafrika) 6,5