Freitag, 12. Juni 2009

Geduldsspiel vor wichtigem Wertungstor

12.06.09 - Herrmann/Oehme müssen mit Mastproblemen nochmal punkten.

Die Hochseesegler Boris Herrmann und Felix Oehme erleben auf der Schlussetappe des Portimão Global Ocean Race rund um die Welt noch einmal bange Stunden. Mitten auf dem Nordatlantik zwischen Charleston/USA und dem portugiesischen Zielhafen Portimão brach ein Beschlag im Mast ihrer Zwölf-Meter-Yacht “Beluga Racer". Das Duo aus Kiel und Hamburg musste die Segelfläche und damit die Geschwindigkeit reduzieren, um einem Mastbruch vorzubeugen. Am Freitagvormittag (12. Juni) kämpften die Norddeutschen knapp 50 Seemeilen vor dem letzten Wertungstor der Regatta an zweiter Stelle liegend gegen leichte westliche Winde. Doch genau dieser Platz wäre für einen wirklich ungefährdeten Gesamtsieg noch ungemein wichtig, falls das Team wegen der Probleme die Etappe im Anschluss nicht rechtzeitig beenden kann.

“Der Mast und die Lage sind momentan stabil", vertrieb Skipper Boris Herrmann allzu große Sorgen der Fangemeinde, “aber wir müssen permanent auf der Hut sein, das Rigg nicht überzubelasten." Einzige Beruhigung für die Mannschaft: Die Drittplatzierten Briten Jeremy Salvesen/David Thomson auf der “Mowgli" lagen rund 230 Seemeilen weiter hinten und damit mehr als eine Tagesdistanz. Das rettende Wertungstor beim 45. Breitengrad West schien zum Greifen nahe und doch so fern. Flaue Winde verzögerten das Vorankommen der “Beluga Racer" stundenlang.

Warum schien der größte Triumph in der Segelkarriere vom Herrmann (28) und Oehme (27) plötzlich doch noch in Gefahr zu sein, nachdem er vor dem Start von allen Seiten schon in trockenen Tüchern gewähnt wurde? Eine Fehlinterpretation der Wertungsmodalitäten aus der Segelanweisung, getragen auch von der Regattaleitung, hatte das Beluga Offshore Sailing Team zu früh in Sicherheit gewogen. Denn käme es aufgrund der Mastprobleme am Ende mehr als zwölf Tage nach der “Desafio de Cabo Hornos" von Felipe Cubillos und José Muñoz ins Ziel oder müsste gar ganz aufgeben, bekämen die Deutschen für die fünfte Etappe nur vier Punkte, statt sechs wie fälschlich angenommen. Die Chilenen würden für einen Sieg zehn Zähler einheimsen. Und der Vorsprung hatte vor dem Re-Start in den USA “nur" sieben Punkte betragen. Deshalb kann sich die “Beluga"-Crew am Wertungstor genau einen Platz hinter den Verfolgern leisten, die es bereits in der Nacht zum Freitag passierten. Denn ein Rang kostet nur einen halben Zähler ­ und der bis auf ein letztes halbes Pünktchen zusammengeschmolzene Vorsprung würde dann immer noch und endgültig zum Gesamtsieg reichen.

“Erst waren wir ziemlich irritiert, als uns unterwegs vorgerechnet wurde, wir könnten am bitteren Ende vielleicht doch nur zweiter Sieger sein³, meinte Herrmann. Es folgte Ernüchterung, nachdem zweifelsfrei geklärt wurde, dass dem tatsächlich so war. Herrmann: “Wir hatten ja nie vor, das Finale auf die leichte Schulter zu nehmen. Aber wenn aus theoretischen Rechenspielen plötzlich Ernst werden kann, bist du schon geschockt." Und der Ernst der Lage kam wie so oft unverhofft.

Es passierte an einem warmen, leichtwindigen Tag mit drei Beaufort und moderater See einige hundert Seemeilen südlich von Neufundland: Ohne erkennbaren Grund wahrscheinlich durch Materialermüdung brach zwischen dem obersten Salingpaar im Inneren des Masts eine 20 Zentimeter lange, fünf Zentimeter breite und knapp drei Zentimeter dicke Aluminiumplatte. “Die dort befestigte Backbord-Saling ist zwei Zentimeter herausgekommen und lässt sich nicht wieder hineindrücken", erklärte der Skipper, “wir haben beide Salinge mit Spezialtauwerk (Dyneema, d. Red.) gegen den Mast gezogen und stramm festgebunden."

Ob, wie lange und bei welchen Bedingungen das tatsächlich hält, weiß nur der Wind. Sobald das Großsegel wieder in voller Größe gesetzt wird, kehren “jämmerlich quietschende Geräusche" zurück. Offenbar ist dann der Druck des Segels auf die Salinge und Zwischenwanten, die ebenfalls an der schadhaften Stelle befestigt sind, zu groß. Herrmann: “Wir müssen es beim zweiten Reff belassen, auch wenn der Wind Vollzeug zulassen würde." Das kostet die “Beluga Racer³ fortan bis zu drei Knoten Geschwindigkeit.

Auf den vier vorangegangenen, extremen Etappen auch durch das Südpolarmeer und rund Kap Hoorn war sie weitgehend von Rückschlägen verschont geblieben. “Nun ist ausgerechnet das einzige Teil gebrochen, das wir an Land nicht ausgebaut und überprüft haben." Dabei hatten die Segler auf den Rat diverser Experten vom Mastenbauer über den Schiffsdesigner bis zu Werftprofis gehört. Diese rieten davon ab, das mit dem Mast verklebte Teil auszubauen, da es eh überdimensioniert und von daher nicht gefährdet sei. Nun könnte eine Korrosion zwischen Aluminium und Kohlefasermast den Bruch herbeigeführt haben.

“Die eigene Erwartungshaltung, in der Endabrechnung nichts mehr anbrennen zu lassen, und die Schwachstelle im Mast bringen uns um den Schlaf", funkte die Crew zwischendurch von Bord, “aber wenn das Wertungstor erfolgreich passiert ist, wollen wir die Reise Richtung Portugal mit gebotener Vorsicht fortsetzen." Um den 23. Juni herum werden Boris Herrmann und Felix Oehme mit ihrer “Beluga Racer" im Zielhafen erwartet.