20.03.09 - Boris Herrmann/Felix Oehme haben Olymp der Seefahrer erklommen. Um punkt 11 Uhr deutscher Zeit schrieben die 27-jährigen Boris Herrmann und Felix Oehme aus Kiel und Hamburg am Donnerstag (19. März) "Kap Hoorn querab" ins Logbuch der "Beluga Racer" und feierten einen Meilenstein in ihrer noch jungen Segelkarriere. Die Gesamtführenden im Portimão Global Ocean Race rund um die Welt passierten die legendäre Landmarke im Süden Chiles gut neun Stunden nach den einheimischen Felipe Cubillos/Jose Muñoz auf der "Desafio Cabo de Hornos". Bis in den Zielhafen Ilhabela in Brasilien auf der dritten von fünf Etappen die ersten zwei gewannen die Deutschen liegen noch rund 2.000 Seemeilen und zwölf Tage vor den Crews. (Raceviewer >)
In seinem persönlichen Logbuch beschreibt Skipper Boris Herrmann die letzten Stunden vor dem emotionalen Moment, der als Mount Everest der Hochseesegler gilt, sowie die Zeremonie an Bord als die "Beluga Racer" den Südpazifik verließ und die Heimreise auf dem Atlantik begann:
Mittwoch, 18. März 2009
15 Uhr: Felipe schickt eine Mail und warnt vor den Felsen 'Islas Il Defonso', die südlicher als auf der Seekarte lägen. Er sollte es wissen.
16:00: Regattaeiter Josh Hall schickt eine Sturmwarnung mit der Empfehlung, den südamerikanischen Kontinentalschelf wegen des Seegangs zu umfahren. Wir entscheiden uns dagegen, da wir hoffen, vor dem ärgsten Wind schon vorbei zu sein, Umwege scheuen und unbedingt ein Foto von uns vorm Hoorn machen wollen. Wir rätseln, wie stark die Strömung in der Le Maire Straße sein würde, da fehlen uns verlässliche Infos.
17:00: Ich lese eine 'Zeit'-Reportage über den Krieg in Gaza und bin sehr berührt. Versuche kurz, gedanklich unser Leben mit der Wirklichkeit der Menschen dort ins Verhältnis zu setzen. Ihnen muss unser Abenteuer entweder sinnlos oder paradiesisch, in jedem Fall sehr fremd vorkommen.
20:00: Wir gratulieren Felipe schon mal am Telefon. Er ist uns sechs Stunden voraus. Er warnt uns vor 50 Knoten Wind, die kommen sollen.
21:31: Radarechoverstärker erkennt erstes Signal seit Neuseeland. Vermutlich ein Marineschiff. Denn das Land ist noch 30 Seemeilen entfernt und der nächste Leuchtturm im Norden sogar 50. Windstärke fünf. Genua und ein hastig eingebundenes Reff im Groß. War gerade am Pastakochen. Noch aldente gelungen. Mit Bolognese-Sauce aus dem Glas, Parmesan und etwas Pfeffer ein Hochgenuss für uns. Ein Albatros zieht nah hinter uns seine Bögen. Entweder ist er auch hungrig oder neugierig. Es wird halbstündig ruppiger. Draußen ist es grau in grau mit Nieselregen. Unter Deck bleibt es bei angenehmen 17 Grad Celsius. Ohne kleine Heizung wäre es unter 10.
21:45: Der Wind dreht chaotisch wie auf der Alster um 20 Grad hin und her. Korrigiere den Kurs von innen mit der Bluetooth-Fernbedienung für unseren Autopiloten. Bei Änderungen größer als fünf Grad gehe ich raus und trimme die Segel nach.
21:50: 993 Hektopascal Luftdruck tief.
22:05: Iridium-SMS von Freund Sebastian: 'Nach dem Kap den Anker loswerfen!' Ein treuer Motivator.
22:40: Felix kommt aus seiner Koje gekrochen und wird auf den neusten Stand gebracht.
23:04: Es riecht nach dieselhaltigen Abgasen. Ein anderes Schiff in der Nähe???? Schnell Radar! Noch Nebel, Sicht nur ca. 2 sm.
23:20: Der Kontinentalschelf ist erreicht: 140 Meter Wassertiefe auf dem Echolot. Die See wird ruhiger. Ich klettere aus dem Spritzschutz des Cockpits hervor auf das Kajütdach und halte Ausschau.
23:30: LAAAAAAAAAND IN SICHT!!! Das erste Mal in unserem Leben sehen wir Chile. Eine gezackte Bergkette mit weiß zwischen Zackenlinie und dunklen Wolken. Schnee? Wir genießen die wunderschöne Aussicht auf das Bergpanorama mit frischem Kaffee und Milch, wie üblich mit Akkuschrauberhilfe aufgeschäumt. Was für ein Glücksgefühl! Davon eine Fotosession.
Donnerstag, 19. März 2009
Mitternacht: Die Sicht ist nach Norden hin klar. Deutlich sind die schneebedeckten Gipfel zu erkennen. Weiter westlich und östlich verschwindet die Bergkette in Dunst und Nebel. Fahles, geheimnisvolles Licht, wie bei einem Unwetter. Ein Hauch Rosa über der Bergkette. Bläuliches Licht voraus. Tiefgrau hinter uns. Mehr Albatrosse als in den Wochen zuvor. Kleine Sturmvögel. Es riecht geradzu nach Land. Noch 90 sm oder hochgerechnete neun Stunden bis Kap Hoorn. Wahrscheinlich runden wir es leider im Dunkeln.
1:00: Großsegel ganz ausreffen, anluven, Wind dreht spitzer. Jetzt 60 Grad zum wahren Wind. Wasser ablassen aus hinterem Ballasttank. Wind geht runter auf 13 bis 14 Knoten. Stockfinstere Nacht. Kein Land oder Leuchtfeuer zu sehen. Einige heftige Bolzschläge beim Gegenansegeln über Wellenrücken. Radiointerview für halb fünf nachts geplant.
2:00: Lichter eines Schiffes achteraus
3:40: Die vor Kap Hoorn gelagerten Felsen scheinen tatsächlich etwa vier Seemeilen weiter südlich als in der Seekarte verzeichnet. Noch eine Mütze Schlaf für den Skipper.
4:20: Neues Positionsupdate. Eine Meile auf Felipe geholt. Abstand 78 sm und schnellstes Schiff
4:25: Erstes Reff wieder rein
4:30: Felix und NDR-Moderatorin Jaqueline Heemann quatschen über Kap Hoorn und wie lange seine letzte Rasur zurückliegt.
5:30: Erstes Reff wieder raus
6:30: Erstes Reff wieder rein. Autopilot leitet eine Wende ein. System wird neu gestartet. Was ist da los?
6:40: Erneuter Ausfall des Autopiloten
6:44: Dritter Ausfall des Autopiloten. 'Rudder Drive not responding'. Wir schalten den Reservepiloten ein. Funktioniert. Wur kämpfen uns Meile für Meile heran.
10:10: Genua rein, Kutterfock geht hoch
10:15: Leuchtturm Kap Hoorn in Sicht
10:20: neuer Positionsreport: 80 sm hinter Felipe und Jose. Dunkelheit, Regen. Schemenhaft Land im Norden zu sehen, Böiger Wind. Morgenröte steuerbord voraus. Wir essen jeder einen Apfel.
10:40: Die Umrisse von Kap Hoorn sind im Dunkeln zu erkennen. Wir starren gebannt. Der Wind dreht uns auf die Nase. Wir luven an, holen die Segel dicht. Es ist böig aber die See flach in dem ablandigen Wind. Es wird langsam heller.
11:00: Wir haben Kap Hoorn querab und starten eine kleine Fotosession, dann Video. Notizen auf einem Backskistendeckel, den wir in die Fotos halten, die erst noch zu dunkel werden. Ich muss den großen Blitz holen und die Kamera mit einem Müllsack vor dem Regen schützen.
11:30: Jetzt ist Zeit für uns! Ein guter Schluck Whisky geht in Luv ins Meer. 'Aberfeldy', 12 Jahre alter Single Malt Scotch Whisky. Felix filmt, ich schütte und jubel dem Kap zu. Vorher umgekehrt.
11:40: Endlich Ruhe. Wir machen jeder eine Dose Becks Bier auf. Der Felsen liegt schon etwas achteraus, aber vor und nach der Kap-Passage sind auch Land und Felsen zu sehen. Es sieht aus wie bei den Lofoten in Norwegen. Grau ziehen die Schauerböen die Fjorde entlang. Es sieht umwerfend aus. Wir freuen uns richtig in uns hinein. Das Telefon klingelt ständig, aber das muss einen kleinen Moment warten. Wir schlängeln uns in nur 100 Meter Abstand an den Felsen entlang. Es wirkt fast mild hier wahrscheinlich ist uns warm, weil wir so aufgeregt sind.
Der Whisky und das Bier auf leeren Magen heben die Stimmung. Nach fast vier Wochen endlich Land ist grandios. Die Landschaft ist spektakulär. Es ist wie eine Ankunft im Etappenhafen, nur schöner, denn es geht noch weiter, und wir müssen nicht an Land. Class 40-Star Giovanni Soldini rät per Mail, durch die Le Maire Straße zu gehen. Wir gehen so hoch wie möglich an den Wind. um Nordostkurs zu laufen.
14:00: Der Olymp der Hochseesegler liegt hinter und 300 Fotos vor uns. Wir sind sehr glücklich und zufrieden. Diese Momente nimmt uns niemand mehr.
Zwischenstand der dritten Etappe am Donnerstag (19. März) um 16.20 Uhr: (Raceviewer >)
1. Desafio Cabo de Hornos, Felipe Cubillos/José Muñoz (Chile) noch 2.057 sm
2. Beluga Racer, Boris Herrmann/Felix Oehme (Kiel/Hamburg) 63,3 sm zurück
3. Mowgli, Jeremy Salvesen/David Thomson (Großbritannien) 248,9 sm zurück
Kazimir Partners, Lenjohn und Peter van der Wel (Südafrika) nicht gestartet